Kassel/Berlin: Während das Budget für Arbeit bundesweit noch viel zu wenig genutzt wird, ist das Interesse an der Alternative zur Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen sehr groß. Zumindest hat dieses große Interesse das NETZWERK ARTIKEL 3 überrascht, das gestern am 13. April eine Online-Veranstaltung unter dem Motto "Es muss nicht immer Werkstatt sein - Budget für Arbeit nutzen" durchgeführt hat. Nachdem sich 100 Teilnehmer*innnen in die Veranstaltung eingeloggt hatten, konnten eine Reihe weiterer Interessierter nicht mehr am Zoomtreffen teilnehmen, weil die Online-Veranstaltung wegen Überfüllung geschlossen war.
"Wir waren bereits bei unserem Messeauftritt bei der letzten Werkstätten-Messe in Nürnberg am großen Interesse am Budget für Arbeit überrascht, aber wir hätten nicht gedacht, dass so viele Menschen an der Online-Veranstaltung zum Budget für Arbeit teilnehmen werden, die wir am Vorabend des Starts der digitalen Werkstättenmesse durchgeführt haben. Sonst hätten wir eine andere Plattform gewählt", teilte Ottmar Miles-Paul vom Netzwerk Artikel 3 mit. Um den Interessierten die Teilnahme zu ermöglichen, hatte das Netzwerk Artikel 3 auf der Internetseite zum Budget für Arbeit den Link zur Veranstaltung eingestellt und auf eine Anmeldung verzichtet. "Aber besser so als anders. Wir hoffen nun natürlich, dass die 100 Teilnehmer*innen der Online-Veranstaltung einen entsprechenden Schwung mitnehmen können, um weiteren behinderten Menschen eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Hilfe des Budget für Arbeit zu ermöglichen.
Was alles möglich ist, das zeigte die Diskussion zum Teil sehr eindrücklich. Lukas Krämer aus Trier wollte unbedingt aus der Werkstatt für behinderte Menschen raus, u.a. auch deshalb weil dort weit unter dem Mindestlohn bezahlt wird. Vor kurzem hat er eine Petition für einen Mindestlohn in der Werkstatt für behinderte Menschen gestartet, die bereits fast 40.000 Unterstützer*innen hat. Doch er will auch nicht mehr in die Werkstatt, denn seine Fähigkeiten und Interessen kann er in seinem Job bei der Bundestagsabgeordneten Corinna Rüffer mit Unterstützung des Budget für Arbeit viel besser entfalten. Er ist u.a. für die Betreuung des Social Media Auftritts der Abgeordneten zuständig und genießt diesen Job. Auch wenn es mit einem Jahr sehr lange gedauert hat, bis es mit den Behörden für das Budget für Arbeit geklappt hat, macht er diesen Job nun schon seit über einem Jahr sehr gerne.
Thomas Künneke aus Berlin wollte erst gar nicht in die Werkstatt hinein und bei ihm hat es auch eine Weile gedauert, bis das Budget für Arbeit von den Berliner Behörden bewilligt wurde. Die bürokratischen Hürden wurden aber überwunden und so kann der gelernte Sozialarbeiter nun passgenau und mit Unterstützung wegen zum Ausgleich seiner seelischen Hindernisse einer interessanten Tätigkeit bei der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland nachgehen. Thomas Künneke betonte in der Diskussion, dass nicht immer nur im Kontext von Werkstätten für behinderte Menschen gedacht werden sollte, sondern im Sinne von guten und passgenauen Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen. Er war einer der ersten, die das Budget für Arbeit in Berlin nutzen und hofft, dass viele andere behinderte Menschen diesen Weg gehen können und sie dabei aktiv unterstützt werden.
Eine aktive Unterstützung bietet Karsten Lutz von JobWERK in Landstuhl schon seit vielen Jahren. Er ist dort als Fachkraft für betriebliche Integration zuständig und hat schon über 100 behinderte Menschen, die vorher in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt waren, dabei unterstützt, einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Unterstützung des Budgets für Arbeit zu finden. Er betonte, dass es wichtig ist, auf die Wünsche der Betroffenen zu hören und sie entsprechend zu unterstützen. Mittlerweile klappe es in seiner Region sehr gut mit dem Budget für Arbeit, so dass dies mit den Behörden oft innerhalb von vier Wochen klappt und von diesen auch aktiv unterstützt wird. "Wir sind da in Rheinland-Pfalz verwöhnt", so das Resümee von Karsten Lutz.
Dass das Budget für Arbeit in Rheinland-Pfalz lange bevor dies im Bundesteilhabegesetz geregelt wurde, eine lange und spannende Geschichte hat, das schilderte Matthias Rösch, der Landesbehindertenbeauftragte von Rheinland-Pfalz. Er selbst hat sich bereits 2003 für das Budget für Arbeit eingesetzt, als er noch Beschäftigter des Mainzer Zentrums für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen war. Später wechselte er ins Sozialministerium, seit 2013 ist er dort als Landesbehindertenbeauftragter tätig. Für Matthias Rösch bietet das Budget für Arbeit eine gute Möglichkeit für eine alternative Beschäftigung zu einer Werkstatt für behinderte Menschen. Er erhofft sich, dass verstärkt darüber geredet wird, wie behinderten Menschen die Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht wird und Abwehrreaktionen bald der Vergangenheit angehören. Die UN-Behindertenrechtskonvention gebe hier eine Reihe von Hausaufgaben auf, denn die Zahlen der Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen steigen auch in Rheinland-Pfalz weiter an.
Während in Rheinland-Pfalz nicht zuletzt aufgrund der mittlerweile gut 15jährigen Erfahrung mit dem Budget für Arbeit bereits hunderte von behinderten Menschen das Budget für Arbeit nutzen, sind in Hessen die Zahlen noch zweistellig, wie Rika Esser, die Landesbehindertenbeauftragte von Hessen berichtet. Sie hat vor gut einem Jahr ihr Amt angetreten und skizzierte die Entwicklung des Budgets für Arbeit in Hessen. Waren es 2019 noch 22 Budgets für Arbeit, lag die Zahl 2020 immerhin schon bei 88. Sie will sich dafür einsetzen, dass mehr behinderte Menschen in Hessen das Budget für Arbeit nutzen können. Und sie setzt sich auch dafür ein, dass mehr behinderte Frauen Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen, denn bisher seien es in Hessen vor allem Männer, die das Budget für Arbeit nutzen. Rika Esser berichtete über eine Reihe weiterer Fördermöglichkeiten für die Beschäftigung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und Modellprojekte dazu in Hessen. Sie hofft, dass besonders nach Ende der Corona-Pandemie die Beschäftigung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Hessen anzieht.
An Christian Judith, der in seiner Firma einen behinderten Menschen über das Budget für Arbeit beschäftigt, wurde sozusagen von diesem angestossen. Er arbeitet immer wieder mit Werkstatträten zusammen und wurde in diesem Zusammenhang von seinem seit mittlerweile sieben Jahren im Budget für Arbeit bei ihm Tätigen auf die Möglichkeit einer Beschäftigung angesprochen. Der bürokratische Aufwand hat sich für ihn in Grenzen gehalten, weil die Hamburger Arbeisassistenz den Prozess begleitet und ihm viel bürokratischen Aufwand abgenommen hat. Seit sieben Jahren funktioniere das Beschäftigungsverhältnis nun mit Hilfe des Budgets für Arbeit sehr gut, was auch damit zu tun hat, dass auch Hamburg schon einige Jahre vor der Bundesregelung in diesem Bereich aktiv war.
Barbara Vieweg vom Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) kennt die schon seit Jahren geführte Diskussion zum Budget für Arbeit gut und war beim Stand des Netzwerk Artikel 3 vor zwei Jahren auf der Werkstätten-Messe in Nürnberg maßgeblich beteiligt. Sie betonte einerseits die noch immer vorherrschende Unwissenheit in Sachen Budget für Arbeit und zeigte einige Mythen auf, die dazu herumgeistern. Natürlich gäbe es auch einige Punkte, die beim Budget für Arbeit verbessert werden müssten, wie beispielsweise soziale Maßnahmen gegen die Vereinsamung und die Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung, aber das Budget für Arbeit biete viele Möglichkeiten zur Inklusion auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch das Thema Rente spielt eine große Rolle, wie in der Diskussion deutlich wurde. Hier empfahl Barbara Vieweg sich gut bei der Rentenversicherung oder in einer ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstelle beraten zu lassen, denn das sei oft sehr individuell.
Eine spannende Veranstaltung, die aufzeigte, wie groß das Interesse am Budget für Arbeit ist, wo noch Verbesserungsbedarf ist und die hoffentlich dazu führt, dass mehr behinderte Menschen inklusiv auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können, so das Resümee von Ottmar Miles-Paul.