Halle (kobinet) André Thiel aus Halle setzt sich schon seit vielen Jahren für die Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und eine gerechte Entlohnung in Werkstätten für behinderte Menschen ein. Hierfür hat er auch den Rechtsweg beschritten. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit André Thiel über seine Erfahrungen in der Werkstatt für behinderte Menschen und seinen Kampf für Inklusion und eine gerechte Bezahlung.
kobinet-nachrichten: Sie wohnen in Halle und arbeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Wie lange arbeiten Sie schon dort und was bedeutet es für Sie, in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu arbeiten?
André Thiel: Seit Juni 2011 arbeite ich als Beschäftigter in einer Behindertenwerkstatt in Halle an der Saale. Für mich persönlich brach damit die Welt zusammen und ich fühlte mich von der Politik und Wirtschaft verarscht. Ich verdiene derzeit in der Werkstatt gerade einmal 167 Euro monatlich und bin damit weiterhin von Sozialleistungen abhängig. Bis dahin ging ich von 1989 - 2000 zur Sonderschule für körperhinderte Kinder und Jugendliche. Ich schaffte sogar den Realschulabschluss. 2004 belegte ich eine IHK Prüfung zur Bürokraft / kaufmännischen Fachkraft. Anschließend folgten irgendwelche Maßnahmen, die kaum zu einem positiven Ergebnis geführt haben.
kobinet-nachrichten: Gerade die geringe Entlohnung und die fehlenden Arbeitnehmerrechte in den Werkstätten werden von vielen kritisiert. Sie selbst haben versucht, dagegen vorzugehen. Was haben Sie bisher getan?
André Thiel: 2015/2016 verklagte ich den Träger der Werkstatt, weil die Beschäftigten keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben, da dies eine Rehabilitationseinrichtung ist. Dies hatte bisher leider keinen Erfolg, auch vor dem Bundesarbeitsarbeitsgericht in Erfurt verlor ich. Unter anderem mit der Begründung, dass wir betreut werden. Stimmt auch. Nur die Unterstützung am Arbeitsplatz bräuchte ich auch auf dem ersten Arbeitsmarkt. Von daher kann ich das Argument nicht stehen lassen.
kobinet-nachrichten: Das war also noch nicht von Erfolg gekrönt, werden Sie weitermachen?
André Thiel: Selbstverständlich, mit allen Mitteln werde ich versuchen, bis zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu kommen. Mit Hilfe von Selbst Aktiv der SPD in Magdeburg und mit meinem Anwalt werde ich weiter kämpfen, dass endlich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2015, wonach behinderte Menschen in europäischen Behindertenwerkstätten unionsrechtlich Arbeitnehmer sind, und die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt werden.
kobinet-nachrichten: Wie sehen Sie das System der Werkstätten als selbst Betroffener in Deutschland generell, gerade im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention?
André Thiel: Von vorne rein möchte ich etwas allgemeines los werden. Im allgemeinen habe ich nichts gegen die Werkstätten, da die den Menschen eine Tagesstruktur und soziale Kontakte anbietet. Aber das System der Werkstätten für behinderten Menschen ist überholt und widerspricht den Regelungen der UN-Behindertenrechtskonvention bzw. hat mit Inklusion der Menschen nichts zu tun. Sondern die freie Wirtschaft und die Politik möchte die Wohlfahrtsindustrie weiter schützen und bedienen. Dies ist dann eine Win Win Situation, also etwas, wo beide Seiten nur gewinnen können - im Interesse der Wirtschaft und Politik.
kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, welche wären dies?
André Thiel: Dass wir behinderte Menschen mit anderen Menschen gleichberechtigt sind und dass die Betriebe der freien Wirtschaft, die keine behinderten Menschen einstellen, und die öffentliche Hand die Lebenshaltungskosten behinderter Menschen übernehmen. Damit wir nicht von den Sozialsystemen komplett oder teilweise abhängig sind. Durch die derzeitigen Regelungen der Sozialsysteme werden wir häufig unserer Menschenrechte enteignet. Menschenrechte sind nicht verhandelbar!!!
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.