Berlin: Nach Informationen der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) arbeiten derzeit ca. 20.000 Werkstattbeschäftigte auf ausgelagerten Arbeitsplätzen. Für das NETZWERK ARTIKEL 3 sind dies 20.000 behinderte Menschen, von denen für viele relativ schnell ein gerechteres sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit der Nutzung des Instruments des Budget für Arbeit geschaffen werden könnte.

Diskussionen, warum es mit der Nutzung des Budgets für Arbeit so schleppend voran geht, enden meist mit dem Argument, dass es zu wenige Arbeitgeber*innen gäbe, die behinderte Menschen, die bisher noch in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, beschäftigen. Da taucht nach Ansicht des NETZWERK ARTIKEL 3, das vor kurzem ein Projekt zur Bekanntmachung des Budget für Arbeit beendet hat, zwangsläufig die Frage auf: "Wenn schon ca. 20.000 behinderte Menschen auf ausgelagerten Arbeitsplätzen der Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, warum soll es da nicht möglich sein, diese in reguläre Beschäftigungsverhältnissse mit Hilfe des Budget für Arbeit umzuwandeln?"

Denn die Arbeitgeber*innen, bei denen die ca. 20.000 ausgelagerten Arbeitsplätze angesiedelt sind, kennen die behinderten Menschen bereits, die Arbeit funktioniert zum Teil schon über einen längeren Zeitraum hinweg und die Arbeitgeber führen in der Regel für die erbrachte Arbeitsleistung entsprechende Zahlungen an die Werkstätten für behinderte Menschen ab, die ungefähr den Kosten entsprechend dürften, die sie für eine Beschäftigung im Rahmen des Budget für Arbeit aufbringen müssten.

Durch eine von den Interessen der Werkstätten unabhängige gezielte Unterstützung der Arbeitgeber*innen für die Beantragung der Budgets für Arbeit und entsprechender Unterstützungsleistungen, sowie mittels einer gezielten Beratung der betroffenen behinderten Menschen über die Möglichkeiten und Grenzen einer Beschäftigung im Rahmen des Budgets für Arbeit müssten nach Ansicht des NETZWERK ARTIKEL 3 recht schnell einige tausend Budgets für Arbeit geschaffen werden können, wenn dies gewollt sei. Sollte es mit der dauerhaften Beschäftigung im Rahmen des Budget für Arbeit nicht klappen, bleibt den Betroffenen auf jeden Fall das Rückkehrrecht in die Werkstatt. Würden noch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt, wäre dies für die behinderten Beschäftigten im Rahmen des Budget für Arbeit natürlich noch besser.

Ob die Umwandlung von ausgelagerten Arbeitsplätzen aber wirklich gewollt ist, daran hat das NETZWERK ARTIKEL 3 jedoch erhebliche Zweifel. Denn bei den Werkstätten für behinderte Menschen bestehen natürlich große Eigeninteressen, weiterhin das Geld für die behinderten Beschäftigten auf Außenarbeitsplätzen zu bekommen. Selbst die Kostenträger scheinen kaum Interesse an einer Veränderung der Situation zu haben, so dass es schon schwierig ist, überhaupt konkrete Zahlen über die Beschäftigung behinderter Menschen auf Außenarbeitsplätzen der Werkstätten und deren konkrete Bedingungen zu bekommen. Und Arbeitgeber*innen bevorzugen wahrscheinlich die einfache Abwicklung der Arbeit, die bei ihnen erbracht wird, wenn niemand entsprechend darauf hinwirkt, dass die zum Teil jahrelang dort arbeitenden behinderten Menschen endlich auch einen gerechten Lohn wie alle anderen Arbeitnehmer*innen im Betrieb erhalten.

Der Koalitionsvertrag der rot-grün-gelben Regierungskoalition sieht vor, dass das Budget für Arbeit gefördert werden soll und beschreibt auch eine Reihe weiterer Zielsetzungen zur Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dort heißt es u.a. auf Seite 78f:

"Wir legen den Schwerpunkt auf die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderungen. (...) Wir werden das Budget für Arbeit und das Budget für Ausbildung weiter stärken und ausbauen. Die Mittel aus der Ausgleichsabgabe wollen wir vollständig zur Unterstützung und Förderung der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzen. Wir wollen alle unsere Förderstrukturen darauf ausrichten, dass Menschen so lange und inklusiv wie möglich am Arbeitsleben teilhaben. (...) Die Angebote von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) werden wir stärker auf die Integration sowie die Begleitung von Beschäftigungsverhältnissen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausrichten. Wir werden das Beteiligungsvorhaben zur Entwicklung eines transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystems in den WfbM und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fortsetzen und die Erkenntnisse umsetzen. Darüber hinaus entwickeln wir die Teilhabeangebote auch für diejenigen weiter, deren Ziel nicht oder nicht nur die Teilhabe am Arbeitsleben ist. Wir werden Inklusionsunternehmen stärken, auch durch formale Privilegierung im Umsatzsteuergesetz."

Link zum Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP

Auch wenn darin noch einiges schwammig formuliert ist, steht vonseiten der neuen Regierungskoalition nach Ansicht des NETZWERK ARTIKEL 3 nichts im Wege, die Ärmel endlich hochzukrempeln und anzufangen, die Hausaufgaben im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention endlich anzupacken und das Werkstättensystem konkret herauszufordern und zu verändern. Was wäre da leichter, als bei den ausgelagerten Arbeitsplätzen der Werkstätten zu beginnen, schnellstens entsprechende Zahlen zu erheben und Schritt für Schritt ganz konkret mit den behinderten Menschen und Arbeitgeber*innen, bei denen die ausgelagerten Arbeitsplätze angesiedelt sind, dazu zu bewegen, gerechte Beschäftigungsmöglichkeiten mit Hilfe des Budget für Arbeit zu schaffen. So könnten aus denjenigen behinderten Menschen, die heute noch bei den Werkstätten angesiedelt sind und mit geringer Vergütung abgespeist werden, endlich zu richtigen Kolleg*innen und Kollegen in den Betrieben mit einem gerechteren Lohn werden, betont das NETZWERK ARTIKEL 3 als ein Resümee aus dem am 31. Dezember 2021 zu Ende gegangenen von der Aktion Mensch geförderten Projekt "Inklusive Alternativen zur Werkstatt für behinderte Menschen bekannt machen und unterstützen".

Link zu Infos zum Budget für Arbeit des NETZWERK ARTIKEL 3

Link zur Stellungnahme der BAG WfbM, wo auf die ca. 20.000 ausgelagerten Arbeitsplätze verwiesen wird